“Cultural Movements”… und was wir von ihnen lernen können

In Organisationen, die ihre Kultur verändern wollen, hört man von Verantwortlichen oft, dass sie eine Bewegung (engl. Movement) in ihrem Unternehmen schaffen wollen. Es fallen Begriffe wie „Grassroot“ oder “Bottom-Up”.

☞  Doch was macht eine (kulturelle) Bewegung überhaupt aus?

☞  Wie funktioniert sie?

☞  Welche sind erfolgreich und welche scheitern?

☞  Und lassen sich die Konzepte einer Bewegung überhaupt auf Organisationen und deren Transformationsprozesse übertragen?

Fragen über Fragen …aber eins nach dem anderen:

Befragen wir zunächst die Quelle der Wahl, das Internet. Googelt man den Begriff “Cultural Movement“, antwortet Wikipedia “… ist eine Veränderung in der Art und Weise, wie verschiedene Disziplinen an ihre Arbeit herangehen.” So weit, so unklar.

Um also ein gemeinsames Verständnis zu erlangen, werfen wir doch mal einen Blick auf einige der bekanntesten (historischen) Beispiele von Movements. Die Hippie Bewegung in den 1960er Jahren, die feministische Bewegung  seit 1848, die Bürgerrechtsbewegung rund um Martin Luther King oder aktuellere Beispiele beginnend mit Occupy Wall Street aus dem Jahr 2011, Black Lives Matter (erstmals 2013) oder Fridays for Future (2018). Einige dieser Bewegungen haben unser Denken und Handeln nachhaltig verändert, andere sind Teil der Geschichte geworden, aber eben ohne nachhaltigen Einfluss. 

Worin genau liegen also die Unterschiede zwischen einem erfolgreichen und einem nicht erfolgreichen Movement? Also einem Movement, das nachhaltige Veränderung herbeigeführt hat und einem, das vielleicht für viel Aufsehen gesorgt, aber dann nicht wirklich abgeliefert, sprich: etwas verändert hat. Wenn wir die Stärke von Movements für Veränderung nutzen wollen, müssen wir zuerst verstehen, wie sie funktionieren, was sie alle gemeinsam haben und was sie voneinander unterscheidet.

Ein starkes “Why”

Spätestens seit Simon Sinek wissen wir, dass Menschen dem “Warum” folgen und nicht dem “Wie” oder “Was”. Wenn wir uns die o.g. Movements anschauen, starten alle mit einem starken Grund für Veränderung.

Egal ob es um Gleichberechtigung, Freiheit oder Nachhaltigkeit geht, Bewegungen entstehen durch eine Diskrepanz zwischen der Realität und der gewünschten Zukunft.

Je größer diese gefühlte Diskrepanz ist, desto stärker ist der Antrieb zur Veränderung.

Es reicht allerdings nicht, wenn dieser Antrieb von einigen wenigen ausgeht. Daher ist die Kommunikation des “Why”, also der Vision und des dahinter liegenden Grundes, essenziell. 

Dezentrale Organisation

Wenn wir an Movements denken, haben die meisten von uns Bilder im Kopf, bei denen hunderttausende Menschen mit Martin Luther King in Washington demonstrieren. Oder wie bei “Occupy Wallstreet”, Bilder von Menschen, die an allen großen Börsenplätzen dieser Welt zu Demonstrationen zusammenkommen. 

Diese Bilder haben wir im Kopf, weil sie medienwirksam und oftmals das Endergebnis einer jahre- oder monatelangen dezentralen Organisation sind. Denn alle oben genannten Bewegungen waren oder sind dezentral organisiert. Wo früher der erste Dialog in Kommunen oder lokalen Versammlungen stattfand, verlagert sich dieser heute zunehmend in den digitalen Raum. Z.B. unter Hashtags wie #occupywallstreet oder #BLM, um nur zwei Beispiele zu nennen. 

✔️ Gleich bleibt: Bewegungen entstehen dezentral. Dialoge und Diskussionen finden zuerst im kleinen geschützten Rahmen statt und vernetzen sich erst nach und nach. 

Dezentrale Zellen wachsen zu einem Netzwerk 

Auch wenn der Beginn eines Movements in der Dezentralität liegt, organisieren sie sich letztendlich zu einem Netzwerk. So ist es kein Zufall, dass die Bilder, die wir als Außenstehende in den Medien sehen, sich ähneln. Dezentrale Zellen des Movements tauschen Strategien zum Vorgehen und zur Kommunikation miteinander aus. Also auch kein Zufall, wenn weltweit alle Gruppen einer Bewegung bspw. gewaltfrei demonstrieren oder bestimmte Hashtags nutzen. Auch Botschaften und Zeitpunkte werden über das Netzwerk synchronisiert. So bleibt jede Zelle des Netzwerks lokal flexibel und dennoch vernetzt, um voneinander zu lernen.

Der hierfür benötigte “Blueprint” wird oftmals von zentralen Gruppen zur Verfügung gestellt. So bilden Webseiten wie bspw. “occupy together” die Basis für ein vernetztes Vorgehen.

Wahrnehmung verändern und am Mainstream anknüpfen

Egal welche Bewegung wir uns anschauen, die oben genannten Punkte (starkes “why”, Dezentralisierung und Organisation als Netzwerk) erfüllen fast alle. Was entscheidet dann über Erfolg oder Misserfolg? Der Knackpunkt: Die Warhnehmung von außen – und dem damit verbundenen Übergang in den Mainstream, d.h. die Anschlussfähigkeit an die Mehrheit einer Gesellschaft. Denn genau hier entscheidet sich, ob eine Bewegung es schafft, nachhaltig eine Veränderung in unserer Denkweise, unserem Handeln und Systemen und Prozessen (z.B. Gesetzen) zu erzielen oder eben nicht.

Was heißt das jetzt konkret?

Um echte Veränderung zu erzielen, müssen Bewegungen im Mainstream ankommen. Das heißt, sie müssen Teil unseres täglichen Denkens und Handelns werden. Um dies zu erreichen, muss sich im ersten Schritt unsere Wahrnehmung verändern.

Das adressierte Problem (Why?) darf keins “einer kleinen Gruppe” oder eben nur “der Bewegung” bleiben, sondern muss in die Gesellschaft übergehen. Was damit gemeint ist, lässt sich sehr gut an der Bürgerrechtsbewegung aus den 1960-ern erklären.

Von einem, in der Wahrnehmung ursprünglichen Problem der ausgegrenzten, farbigen Bevölkerung konnte die Wahrnehmung hin zu einem Problem der gesamten amerikanischen Bevölkerung verändert werden. Mit seiner berühmten “I have a dream” Rede, konnte Martin Luther King klar machen, dass Ausgrenzung und Ungleichheit gegen die nationalen Prinzipien der Vereinigten Staaten von Amerika verstoßen. Aber erst weiße Richter:innen und Politiker:innen außerhalb der Bewegung konnten mit Gesetzesänderungen dafür sorgen, dass sich die Gesellschaft nachhaltig verändert.

Anderen Bewegungen gelang dieser Sprung nicht. Occupy Wallstreet bspw. hatte sehr wohl ein starkes “Why” und versuchte durch dieses auch die öffentliche Wahrnehmung zu verändern. Mit “We are 99%” wurde auf die ungleiche Verteilung von Vermögen (insb. in den USA) aufmerksam gemacht: 1% der Menschen besitzen 99% des Gesamtvermögens.

Sie versuchten einen Shift in der  Wahrnehmung  – weg von einem Problem zwischen Arm und Reich, hin zu einem Problem eben der 99%, und damit auch der breiten Mittelschicht, zu bewirken. Dennoch gelang es nie, ausreichend Menschen außerhalb der Bewegung zu überzeugen und somit den Übergang zum Mainstream sicherzustellen. Ein ähnliches Phänomen können wir aktuell bei den Klimaprotesten der “Letzten Generation” beobachten.

Während das “Why” glasklar und nachvollziehbar ist und die dezentrale Organisation und die Vernetzung untereinander astrein sind, blicken viele Menschen aktuell skeptisch auf die Vorgehensweise des Movements. Wie nachhaltig erfolgreich die Bewegung sein kann, wird sich demnach zeigen. 

Was Unternehmen davon lernen können?

Was können wir davon also für Unternehmens-Transformationen ableiten?

Bis hierher haben wir gelernt: Es braucht einen starken Grund zur Veränderung, eine dezentrale Organisation und eine Vernetzung dieser dezentralen Gruppen. Für Führungskräfte und Entscheider:innen bedeutet das, die Vision so zu kommunizieren, dass Menschen dieser folgen möchten. Das bedeutet vor allem auch, dass diese Vision eine Relevanz für die Menschen hat. Außerdem bedeutet es, den nötigen Freiraum zu geben, sich dezentral zu organisieren und dem Drang nicht nachzugeben, vollständige Kontrolle ausüben zu wollen. Ist dies geschafft, müssen Menschen in Organisationen die Möglichkeit und Zeit haben, sich miteinander zu vernetzen und auszutauschen. 

Doch selbst wenn alle oben beschriebenen Punkte erfüllt sind, entscheidet über Erfolg oder Misserfolg einer Transformation in Organisationen (wie eben auch in Gesellschaften) die Frage, ob die Bewegung anschlussfähig zur Mehrheit ist, denn nur dann kann die öffentliche Wahrnehmung verändert und damit Veränderungsprozesse im Mainstream angestoßen werden.

Natürlich heißt das ggf. auch, an der ein oder anderen Stelle Kompromisse einzugehen oder in Kauf zu nehmen, dass Transformationen länger benötigen, als wir uns das wünschen würden. Dennoch bleibt so der Weg nach vorne und damit zur Veränderung offen und verschließt sich nicht durch verhärtete Fronten. 

Wie eine Transformation so gestaltet werden kann, dass sie Menschen einbindet, ein Movement kreiert und dennoch anschlussfähig ist, erfahrt ihr in unserem nächsten Blogbeitrag – stay tuned!